Hallstatt
1 Wanderung, 1 Projektion, 1 Zeichnung
2019
Hoch über dem Hallstätter See liegt das 1846 entdeckte prähistorische Gräberfeld, das der eisenzeitlichen Hallstatt-Kultur seinen Namen gab. Wie es um die Lebensumstände und die Natur im Salzkammergut Mitte des 19. Jh. bestellt war, beschreibt Adalbert Stifter in seinen poetisch-realistischen Novellen bildhaft genau und einprägsam. Hallstatt selbst, Sehnsuchtsort der Romantiker und Reiseziel des Wiener Hofs, gilt heute besonders bei asiatischen Touristen als Attraktion. In Boluo (Guangdong/China) baute man vor einigen Jahren eine „originalgetreue“ Hallstatt-Kopie als Siedlung für Wohlhabende, der lediglich die Alpen als rahmende Kulisse noch fehlen.
Die Hallstätter Wanderlinie sollte eine Verbindung zwischen den Aktivitätszentren am Hallstätter Berg herstellen und damit Interessen und Epochen „auf eine Linie“ bringen: Gastwirte in Hallstatt, Chinesen auf dem Gräberfeld, eisenzeitliche Bergleute in den Salzstollen und Alpinisten auf dem Gipfel des Plassens. Unter dieser Vorgabe entstand am Computer eine Linie in Form einer bizarren romantischen Felslandschaft, in deren engen Serpentinen des Weges man die Eisnadeln aus Stifters „Bergkristall“ zu erkennen meint.
Vom Regen in den Schnee wandernd gelangte ich bis zu der tief verschneiten Halde unterhalb des Plassens, die mir ein Weiterkommen unmöglich machte. So beschließt ein Fotoblock vom „Stehen am Berg“ die Serie der Fotografien, die den Aufstieg dokumentieren.
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"Das Stehen am Berg", Fotoserie |
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Hallstatt (Buchseite aus "TOUR")
„Endlich war es dem Knaben, als sähe er auf einem fernen schiefen Schneefelde ein hüpfendes Feuer.“(1)
Adalbert Stifter
Hallstatt ist Salz.(2) Hallstatt ist zum Begriff und Synonym für die ältere Eisenzeit in Europa(3) geworden. Und Hallstatt entwickelte sich früh zu einem zentralen Ort für den Gebirgstourismus. Wenn der 35-jährige Kaiser Franz Joseph 1865 an seine Mutter schreibt, dass „eine Menge Trotteln“(4) das Naturerlebnis schmälern, so zeigt das, welche Bedeutung Standesunterschiede bei der Bewertung des Tourismus von Beginn an hatten.
In den letzten drei Jahrzehnten erfreute sich Hallstatt besonders bei asiatischen Touristengruppen großer Beliebtheit. Aus den verführerischen Europa-Angeboten international agierender Reiseunternehmen ist ein Kuriosum entstanden, das an Las Vegas(5) erinnert. Seit 2012 gibt es in der südchinesischen Stadt Luoyangzhen eine originalgetreue Hallstatt-Kopie als Siedlung für Wohlhabende, nur das Ambiente echter Berge fehlt zum Glück. Es besteht also keine Gefahr für den Fremdenverkehr im Salzkammergut, ganz im Gegenteil.
Kaiser und Künstler sind für die Tourismusindustrie wichtig. Maler, Schriftsteller oder Komponisten – sie alle ließen und lassen sich gerne inspirieren von magischen Orten, sie nehmen an diesen vielleicht ihren Wohn- oder Zweitwohnsitz, und ihre Erzeugnisse können, wenn es der Welt gefällt, noch Jahrhunderte später das Geschäft beleben. Hallstatt gehörte deshalb unbedingt in die Sammlung meiner Wanderungen, auch wollte ich wissen, wie das Gebirge, das Stifter in seiner ein-drucksvollen Erzählung „Bergkristall“ beschreibt, in Wirklichkeit aussieht.
Allerdings war ich nicht gekommen, um der Natur etwas abzutrotzen. Mitte Mai, es regnete im Tal und irgendwo jenseits der touristischen Zone begann der Weg weiß zu werden. Damit hatte ich nicht gerechnet. Unterhalb des Plassens, Hallstatts höchstem Berg, hätte ich pfadlos ein Schneefeld überqueren müssen, was mir nicht ratsam erschien. Fotografierend am Fuß des Gipfels stehend, sagte ich zu mir: Da hast du nun dein schiefes Schneefeld, nur Kinder, die auf Rettung warten, fehlen. Und kein Feuer weit und breit.
Der unvorhergesehene Abbruch der Wanderung verkürzte die zu zeichnende Linie um ihren äußeren linken Abschnitt. Die Gesamtform erinnert dennoch an die Idee von wild-romantischer Bergwelt. Alle vermeintlichen Felsformationen und Eisspitzen sind aber nichts anderes als ein mehr oder weniger getreues Abbild der Wegbiegungen zwischen 500 und 1600 m ü. Adria.
1 Adalbert Stifter (1805–1868), Dichter und Maler, in: „Bergkristall“, Erzählung von 1845/53.
2 Salzbergbau ist in Hallstatt seit der Bronzezeit um 1500 v. Ch. nachgewiesen.
3 Hallstatt- und Latènezeit bezeichnet die ältere bzw. jüngere Eisenzeit, benannt nach den beiden wichtigen Fundorten in Österreich und in der Schweiz;
Hallstatt: 1824 erste Grabungen, 1846–1863 wichtigste Ausgrabungen auf dem Gräberfeld durch Johann Georg Ramsauer.
4 „Nach Tisch sind wir zum Waldbachstrub gegangen. Das Tal war herrlich beleuchtet und vom frischesten Grün; nur durch eine Menge Trotteln, wie immer, und durch eine neue, in dieser schönen Gegend höchst unpassenden Zivilisation verunstaltet.“ Zitat auf einer touristischen Tafel im Tal Waldbachstrub.
5 In Las Vegas wurde 1999 das „Venetian Resort Hotel“ eröffnet mit Nachbauten wichtiger Wahrzeichen Venedigs.